Eine Umrundung vor der Umrundung

Ein frostiger Novembermorgen zu Füßen der Himmelspagode in Hohen Neuendorf – dem Ausgangspunkt für das diesjährige epische Bikepacking-Abenteuer rund um Berlin. Die Uhr steht auf 7:32, der Himmel zeigte sich in einem blassen Grau, dennoch haben sich über 70 Wagemutige trotz der düsteren Wetterprognose angemeldet. Mehrfach mussten wir die Kapazitäten erhöhen. Nicht alle von ihnen sollten sich auch tatsächlich zum Start wagen und noch weniger am Ende auch wieder im Ziel eintreffen… Langsam versammelten sich die Starter:innen. Ihre Blicke verrieten eine Mischung aus Vorfreude und Entschlossenheit, als sie sich mit ihren Bikes auf das Abenteuer vorbereiteten. Bereits die erste Etappe sollte heute wenigstens 135 Kilometer lang werden.

Die Luft war von einer Mischung aus Aufregung und Kälte erfüllt, als die Startzeit näher rückte. Die Teilnehmenden, ausgestattet mit ihren agilen Cyclocrossern, robusten MTB-Monstern oder komfortablen Gravel-Bikes, bildeten eine bunte Truppe, bereit für die Unwägbarkeiten der nächsten zwei Tage. Die Vorerfahrungen waren ganz unterschiedlich. Für mache erfahrenen Grandoneur:innen war die Strecke eher ein Snack, aber für mache stand auch ihre bislang längste Tour bevor.

Der Startschuss fiel, und das Knirschen von Reifen auf dem kalten Untergrund mischte sich mit dem aufgeregten Gemurmel der Anwesenden. Zunächst ging es zum Eingrooven einmal im Uhrzeigersinn rundherum um die Himmelspagode. Die ersten Meter waren geprägt von lebhaften Gesprächen. Einige scherzten über die frostige Temperatur, andere fokussierten sich bereits auf die bevorstehenden Kilometer. Während das Startfeld die Stadtgrenzen von Hohen Neuendorf hinter sich ließ, fühlte man förmlich die Energie der Gruppe. Die Straßen wurden zu Wegen, und die Wege zu Pfaden.

Der Start war nicht nur der Beginn einer physischen Reise, sondern auch einer mentalen Entdeckung. Die moderne Circumambulation auf Rädern hatte begonnen, und die Teilnehmer waren bereit, die Metropole während ihrer symbolischen Umrundung aus einer neuen Perspektive zu erfahren. Der Frost in der Luft konnte die Hitze der Abenteuerlust nicht dämpfen, und so setzte sich der bunte Zug in Bewegung, getrieben von der Aussicht auf Schlamm, Natur und dem verheißungsvollen Camp am entgegengesetzten Ende der Stadt.

Eine säkulare Circumambulation

Die Umrundung, auch als Circumambulation oder Umkreisung bekannt, ist eigentlich ein rituelles oder spirituelles Handeln, das in verschiedenen Kulturen und Religionen weltweit vorkommt. Im Kern besteht die Praxis darin, einen bestimmten Ort, ein Objekt oder einen heiligen Punkt im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden. Dieser symbolische Akt hat tiefe religiöse, spirituelle und kulturelle Bedeutungen. Diese ist vielfältig und kann je nach kulturellem oder religiösem Kontext unterschiedliche Interpretationen haben, von einem Symbol der Hingabe und Ehrerbietung gegenüber dem Göttlichen, über eine Repräsentation des Zyklus des Lebens und der Wiedergeburt bis hin zu einer rituellen Reinigung und Transformation. Meist dient es jedoch dem Fokus und der Meditation: die rituelle Umrundung dient der Konzentration. Beim Bikepacking-Abenteuer um Berlin wurde die Idee der Circumambulation ironisch als eine moderne, säkulare Interpretation aufgegriffen: das Idol war Berlin selbst. Die Teilnehmer umrundeten nicht nur physisch die Stadt, sondern schufen auch eine eigene, mentale Erfahrung. Der frostige Start, die Herausforderungen der Strecke, der Schlamm und das Lichtermeer am Ende wurden zu Elementen eines zeitgenössischen Rituals – einer Reise, die dennoch tiefe persönliche Bedeutungen tragen konnte.

Back on Dreck: Rückkehr des Klassikers Rund um Berlin

Gleichzeitig ist die Umrundung Berlins ist einer der ältesten Klassiker des deutschen Straßenradsports und fand erstmals 1896 als Rennen statt. Nachdem die Veranstaltung lange Zeit als Straßenrennen durchgeführt wurde, erlebte sie ihre letzte Ausgabe im Jahr 2008. Mit einer tiefen Wertschätzung für die historische Bedeutung haben wir diesen Klassiker im Jahr 2019 in seiner ursprünglichen Form als Geländeevent wiederentdeckt. Seitdem präsentieren wir diese einzigartige Tour jedes Jahr, wobei wir den Geist der ursprünglichen Veranstaltung bewahren und gleichzeitig modernen Anforderungen gerecht werden. Die Hinzufügung eines Übernachtungsstopps intensiviert das Erlebnis und schafft Raum für Gemeinschaft und Reflexion – eine Hommage an die historische Radsporttradition, die heute als zeitgemäßes Bikepacking-Abenteuer weiterlebt.

Durch das wilde Briesetal und die Wellen des Gamengrunds

Entlang des malerischen Briesetals begannen die Abenteuerlustigen ihre Reise, eingehüllt in eine mystische Atmosphäre der Herbstsonne, die von den Bäumen gespendeten Schatten und dem murmelnden Fluss begleitet wurde. Die meist breiten Schotterpisten schlängelten sich durch dichte Wälder, während das Rauschen des Wassers einen ständigen, beruhigenden Begleiter bot.

Die wellenartigen Hügel des eiszeitlichen Gamengrunds begrüßten das Fahrerfeld nach einer Mittagspause in Biesenthal mit sanften Auf- und Abfahrten, die sich wie rhythmische Wellen auf einem ruhigen See anfühlten. Hier fand die Reise eine Balance zwischen Anstrengung und Belohnung. Die Herausforderungen der Strecke wurden durch die ständig wechselnde Landschaft belohnt, die ihre eigenen Geschichten zu erzählen schien. Die Natur bot eine Kulisse von oft atemberaubender Schönheit, während die Fahrer durch die wellenförmigen Gründe navigierten, als Teil eines größeren, harmonischen Ganzen. Die Gruppe wurde zu einer tanzenden Einheit von Radfahrern, die im Einklang mit der Topografie des Geländes die Herausforderungen meisterten.

Das Spiel aus Licht und Schatten durchzog die Szenerie und verlieh der Reise eine theatralische Note. Die Sonnenstrahlen, die sich durch das Blätterdach kämpften, malten flüchtige Muster auf den Boden, während die Radler:innen ihre individuellen Geschichten durch die welligen Pfade schrieben.

In die Dunkelheit

Für viele Teilnehmenden begann die Herausforderung erst, als die Sonne hinter den Horizont sank und die Dunkelheit über das Terrain hereinbrach. Ausgehend von Strausberg rollte die Abenteurertruppe langsam, aber beständig in eine andere Welt, als ihnen nur noch der Glanz der Scheinwerfer den Weg durch die Nacht erhellt.

Die Lichtkegel der Scheinwerfer malten flüchtige Muster auf die schmalen Wege, und die Fahrer:innen navigierten durch die Dunkelheit mit einer Mischung aus Konzentration und Aufregung. Der nächtliche Ritt wurde zu einem faszinierenden Spiel von Licht und Dunkelheit, bei dem die Umgebung nur im begrenzten Radius der Scheinwerfer sichtbar wurde. Zwischendurch ging jemand verloren, wurde aber bald wieder gefunden.

Der Übergang von der Dämmerung zur Dunkelheit markierte einen entscheidenden Moment der Reise. Die Reisenden wurden zu Pionieren des nächtlichen Abenteuers. Die Geräusche der Nacht begleiteten sie, während sie sich durch den Dunkelheits-Tunnel bewegten. Das Knirschen von Kies unter den Reifen vermischte sich mit den gelegentlichen Geräuschen der Natur, und die Atmosphäre war von einer besonderen, fast meditativen Stimmung geprägt.

Die Dunkelheit wurde nicht nur zu einer physischen, sondern auch zu einer mentalen Herausforderung. Die Teilnehmer vertrauten auf ihre Orientierungsfähigkeiten, ihre Ausrüstung und den gemeinsamen Scheinwerfer-Korridor, der den Weg wies. Der nächtliche Abschnitt wurde zu einer intensiven Erfahrung, in der der Fokus auf das Wesentliche gerichtet war – das nächtliche Bikepacking-Abenteuer, erleuchtet nur durch die kraftvollen Strahlen der Scheinwerfer.

Mit erschöpften, aber zufriedenen Gesichtern rollten die Abenteurer endlich ins Camp ein. Die Reifen knirschten auf dem festen Untergrund, als die letzten Meter der epischen Reise zurückgelegt wurden. Das Camp empfing sie mit offenen Armen, und ein Gefühl von Kameradschaft und Erfolg durchströmte die Luft.

Ausklang

Das Camp bot eine Oase der Erholung, das ersehnte Bier, wohltuender Glühwein und der verlockende Duft von indischem Curry erfüllten die Luft. Das Lagerfeuer loderte, während die Abenteurer sich um es versammelten, Geschichten austauschten und die Eindrücke des Tages Revue passieren ließen.

Die Durstigen erfrischten sich mit einem wohlverdienten Schluck Bier, während der Glühwein die kalten Finger und Seelen wärmte. Die Teller leerten sich und die Mägen füllen sich, das Curry hat auch die Hungrigsten satt gemacht. Die Klänge der fröhlichen Gespräche und Lacher mischten sich mit dem Knistern des Lagerfeuers. Inmitten des Camps entwickelte sich eine Atmosphäre der des Austausches, die Ankunft im Camp war nicht nur das Ende einer physischen Reise, sondern auch der Beginn einer gemeinsamen Feierlichkeit. Hier fanden die Abenteurer einen wohlverdienten Abschluss für einen erfüllten ersten Tag. Das Leuchten der Sterne sah man nicht unter der Wolkendecke, wohl aber die Positionslichter der Flugzeuge im Anflug auf den BER. Am nächsten Morgen sollte dieser passiert werden.

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