Tag 11 / Nach der Mittagspause: 206 km / 750 HM

Die Mittagssonne sticht, so ganz ohne Fahrtwind. Wir suchen den Schutz des einzigen dünnen Schattenstreifens entlang eines Zauns. Während einer die Aussichtsplattform besucht, setzt sich die andere mit Wahoo’s mysterious ways auseinander – erfolglos leider. Der neue Track ist verschwunden und möchte auch nicht mehr laden (Details werden hier bewusst ausgelassen). Zum Glück ist der Track noch auf dem anderen Fahrradcomputer, zu zweit unterwegs zu sein hat schon seine Vorteile… Aber der Wahoo-Ärger schlägt Wellen und wirft die Frage des technischen vs. menschlichen Versagens auf. Zwei Standpunkte, zwei Leute – das geht doch perfekt auf! Zum Glück kommt uns ein paar hundert Meter weiter ein MTBer entgegen und lenkt uns mit seinen eigenen Problemen ab. Er hat vor der surrealen Tagebaukulisse mit Selbstauslöser fotografiert und die Kamera einfach liegen lassen. Das Ganze ist ihm erst einige Kilometer später aufgefallen. Zum Glück hat die Kamera niemand eingesteckt (wer auch ?!) und er sammelt sie flink wieder ein. Wir fahren ein Stück gemeinsam weiter bis in ein wunderschönes hügeliges Pinienwäldchen hinein. Dort zerrt er aus einem Gebüsch einen kleinen Anhänger. Sein Gepäck hat er für die Kamerasuche am Wegesrand versteckt. Nun trennen sich unsere Wege, denn auch wenn ein MTB das geeignetere Rad für die sandigen und wurzeligen Trails ist, kommt man ohne Anhänger doch deutlich müheloser voran. Trotzdem sind wir beeindruckt, wie er mit dem vollgefederten MTB über die wurzeligen Trails gleitet, während sein Anhänger mit Gepäck hinterholpert. Wir wünschen uns gegenseitig viel Spaß auf der BTG. 20 Kilometer später winken wir uns noch einmal zu als wir den Parkplatz des Campingplatzes am Großsee verlassen auf den er gerade raufrollt. Hier haben wir uns noch kurz mit einem BTG-Fahrer von Tag 4 unterhalten, der nun nach kurzer, krankheitsbedingter, Zugfahrt wieder auf Track ist und für die Nacht eincheckt. Wir machen uns mit gefüllten Wasserbehältern wieder auf den Weg. Außerdem werden noch Trikot und Mützen mit kaltem Wasser getränkt, damit die Hitze besser auszuhalten ist. Auch wenn wir wissen, dass wir noch einige Stunden durchfahren müssen, bis wieder geeignete Verpflegungs- und/oder Übernachtungsmöglichkeiten kommen, ist es uns einfach noch zu früh um zu halten. Der Tag ist noch lang und so wunderschön.

Die Strecke des letzten Abschnitts
Das Höhenprofil des letzten Abschnitts

Das Vorankommen ist mühelos. Vollkommen eben verläuft die Strecke zwischen Feldern und Waldesrand, mal durch Heide, mal durch Akazienwälder. Die Oberfläche wird zwischendurch etwas holperig durch Steine oder Grasballen auf offenem Feld, aber wir sind mehrheitlich auf festem Sand/Kies unterwegs und genießen die totale Abgeschiedenheit und das warme Abendlicht. So auch der riesige Hase der ein paar hundert Meter vor uns herhoppelt, als würde er uns den Weg zeigen wollen. Die zarten Pastelltöne der Reicherskreuzer Heide lassen sich leider nicht festhalten (der trockene Duft noch weniger), also keine Fotostopps mehr! Daran halten wir uns aus anderen Gründen auch entlang des wilden Schwansee-Ufers. An jedem Baumstamm, über den wir unsere Räder hieven müssen, werden wir von einem Schwarm Moskitos überfallen, wie von Wegesrand-Räubern. Schnell weg hier! Weiter Richtung Norden macht sich die Trockenheit doch bemerkbar und es mehren sich sandigen Abschnitte. 

Als wir gegen 20 Uhr mit Neubrück die erste Ortschaft seit einigen Stunden erreichen, merken wir schon was wir geleistet haben. Wir sind hungrig und überlegen kurz, ob wir uns hier verpflegen sollten. Aber Fürstenwalde erscheint uns verlockender und ist auch gar nicht mehr so weit entfernt. Gute Entscheidung, denn nach einem kurzen Stück Kopfsteinpflaster am Ortsausgang geht es fast ausschließlich auf Asphalt voran, lange auf bestem Radweg. Über dem Oder-Spree-Kanal verschwindet langsam die Sonne am Horizont und es wird allmählich dunkel. Wir beneiden im Vorbeifahren die Paddler, die ihr Lager bereits aufgeschlagen haben und steuern noch kurz den ausgeschilderten Campingplatz/Biergarten „Forsthaus an der Spree“ an, der aber leider ohne Hinweis geschlossen ist. Bis Berkenbrück folgen wir weiter dem Spree-Radweg, bevor wir nach einer kurzen Waldpassage Fürstenwalde erreichen. Hier finden wir einen Bankautomaten neben einem Imbiss und bezahlen für mittelmäßige Pizzen erstklassige Preise. Wir haben keine Lust auf Diskussionen und nehmen zwei Gratis-Getränke als Zugeständnis und Entschuldigung mit auf den Weg.

Nochmal aufbrechen kostet etwas Überwindung. Auf dem Radweg entlang der Spree ist es dunkel und nun auch ziemlich frisch geworden. Aber der noch belebte Stadtpark steht als Übernachtungsmöglichkeit außer Frage und wir fahren weiter. Nach wenigen Kilometern erreichen wir den Landzipfel der großen Tränke wo wir zwischen den Pappeln und Birken unsere Hängematte aufhängen. Elf Tage auf dem Rad und der heutige 200 km Zwischenspurt fördern die Nachtruhe. In Nullkommanix nichts sind wir eingeschlafen.

Tag 12: 106 km / 700 HM

Als wir aufwachen ist das kleine Zelt, das gestern Abend noch am anderen Ende der Wiese stand schon abgebaut. Wir lassen uns nicht hetzen. Baden geht hier leider nicht, und Kaffee und Frühstück gibt es auch nicht, aber die Morgenstimmung ist gut. Nüchtern geht es auf die Piste durch den Fürstenwalder Forst und die Hangelsberger Heide, auf Pfaden durch das Löcknitztal. Wir entscheiden uns einen Abstecher nach Grünheide zu machen, was sich als sehr gute Wahl herausstellt. Auf dem Marktplatz gibt es gratis WLAN und nicht weit entfernt eine Öko-Bäckerei mit einem Überangebot an feinster Kost. Wir stehen dreimal an und brechen mit vollen Bäuchen und Provianttaschen wieder auf.

Der Verlauf des Löcknitztalwegs ist zum Teil etwas verwirrend, aber auf eine verwinkelte Art schön. So nah an Berlin fahren wir diesen Pfad trotzdem zum ersten Mal. Die Ufer von Flaken- und Kalksee hingegen sind altbekannt, obwohl nun erstmals mit dem Crosser gefahren. Es ist einiges los an den Badestellen und den Wegen dahin, wir müssen immer wieder Spaziergängern ausweichen. In Rüdersdorf fahren wir an dem der Kalk-Verarbeitung gewidmeten Museumspark vorbei, dann durch einige Siedlungen bevor wir hinter Eggersdorf wieder in den Wald abtauchen. Nun, Abtauchen entspricht dem Fahrgefühl in Wahrheit leider nicht. Die Wege sind sandig, aufgewühlt und stets holperig, das Grün am Wegesrand ist dornig oder brennt, und die Anstrengung des ewigen Ausweichens und Reagierens vermiest einem sogar etwas die Freude an den kleinen Stichen, die sich in regelmäßigen Abständen präsentieren. So richtig in den „Flow“ kommen wir nicht. Auch, weil wir die Räder ständig über querliegende Bäume hieven müssen.

Es gibt viel frisches Grün und Gestrüpp, manchmal Zäune und wenig Waldgefühl. Hinter Bötz- und Fängersee ändert sich das wieder. Die Strecke führt uns bis kurz vor Hohenfinow knapp 30 km entlang der gesamten glazialen Rinne des Gamengrunds, mit seinen unendlich vielen kleinen, angestauten Seen. Den Finowkanal und die Oderberger Gewässer überqueren wir auf der Straße zum altem und neuem Schiffshebewerk. Die beiden monumentalen Bauwerke sind eigentlich immer eine Pause wert, aber heute fahren wir vorbei. Kurz folgen wir der Straße noch, dann kneten wir in gerader Linie bergauf in den Wald hinein. Wunderschöner Wald! Wunderschöne Piste! Und dann Kopfsteinpflaster. Zugegebenermaßen ist auch das wunderschön, aber selbst mit dem Crosser einfach kein Vergnügen zu fahren. Wir rütteln und rattern voran und freuen uns über jeden Meter befahrbaren Seitenstreifen. Zwischen Liepe und Chorin begegnen wir mehrfach den Lastenrädern eines Forscher-Teams, die mit Hilfe von Drohnen unter anderem den Vogel- und Waldbestand monitoren. Wir fragen uns, wie das empfindliche Equipment den Ausflug wohl übersteht. Hoffentlich besser als unsere Handgelenke. Am Zisterzienserkloster Chorin haben wir aber schon die längsten Passagen hinter uns. Den beeindruckenden Bau der Backsteingothik bewundern wir nur von außen, wir waren ja schon oft hier und kommen bestimmt wieder.

Von hier aus sind es bis zum heutigen Ziel am Grimnitzsee nur noch 15 km Richtung Nord-Westen, durch Wald oder direkt an der Waldgrenze entlang. Wann immer der Weg über Felder schlenkert, bekommen wir die Trockenheit der letzten Monate zu spüren. Die zwei Kilometer nach Überquerung der Senftenhütter Straße sind ein Kraftakt und wir arbeiten uns so gut es geht durch den tiefen weißen Sand. Der plötzliche Wild-West Flair der welligen Landschaft, mit ihren trockenen Weiden, Holzzäunen und Rindern ist eindrucksvoll. Es ist wirklich eine abwechslungsreiche und stimmungsvolle Strecke bis Althüttendorf. Dort rollen wir mit anderen Ausflüglern über den Uferradweg nach Joachimstal, dem Feierabend entgegen. Wir sind weder böse über den kurzen Tag noch über den Luxus, der uns erwartet. Da wir die Strecke außerhalb des Events fahren, gönnen wir uns eine Übernachtung in der alten Heimat, inkl. Dusche, Dach, warmen Dinner und bei liebster Gesellschaft. So können wir auch alle unsere Kleider endlich mal richtig waschen und uns auf den Genuss einer frischen Fahrradhose freuen – es wurde auch Zeit!

Tag 13: 136 km / 650 HM

Am Morgen haben wir Mühe aufzubrechen. Es gibt auch erst einmal keinen Grund aufzusteigen. Der Weg zum Frühstückstisch ist ohne Fahrrad zu bewältigen und wir haben kein festes Ziel für den Tag. Wir wissen aber, dass wir ohne größere Zwischenfälle Morgen Abend am Ziel sein müssten und bekommen ausreichend Proviant mit auf den Weg. Genügend Gründe für einen unbekümmerten late- (und clean!) Start. Kurz vor eins brechen wir auf. 

Im Nu haben wir Joachimstal verlassen, und merken schon auf den ersten Metern, dass wir die Sand-Sorgen noch lange nicht los sind – ganz im Gegenteil! Vorteil: man wird geübter darin ihn zu durchpflügen und man lernt, dass Ausklick-Versuche am sandigen Hang ihre Fortsetzung in der Waagerechten finden. Schwierig sich aufzurichten, wenn ein bepacktes Fahrrad auf einem darauf liegt… Zum Glück fährt es sich meist besser als im ersten Schreckmoment gedacht, zumindest im Wald wo die Räder immer wieder einen Stein, eine Wurzel oder etwas anderes Festes findet, an dem sie wieder Griff finden. Das ist später in der Heide dann eine ganz andere Geschichte. In Kürze erreichen wir den Großdöllner See, den wir am nördlichen Ufer auf einem wunderbar wurzeligen Singletrail umfahren. Wir freuen uns, nicht über die Kopfsteinpflasterstraße im Süden geleitet worden zu sein, die uns von früheren Rennradtouren bekannt ist. Allerdings entgeht uns so die Chance einen kurzen Blick auf die Überbleibsel Carinhalls zu werfen, von dem wir bisher nur die verwilderte Allee und Eingangspfosten gesehen haben. Geschichtliche Schwerkost wird es aber heute noch genügend geben, und wir genießen einfach den südländischen Charme inklusive Pinienduft.

Fünf Kilometer weiter stehen wir plötzlich auf Betonplatten und um uns herum sind die Hangars des ehemaligen sovietischen Militär-Flugplatzes Templin/Groß Dölln, dem damals Größten der DDR. Wir fahren kreuz und quer durch die surreale Anlage und unter den gerippten Beton-Hangars fühlen wir uns ein wenig wie im Inneren eines großen Tieres, bedroht und aufgehoben zugleich. Ein Hangar-Eingang ist zugemauert. Wir werden beklommen neugierig und suchen einen Eingang, bis wir feststellen, dass hier Fledermäusen ein neues Zuhause gemauert wurde. Diese Flieger brauchen nur Ausgänge so groß wie Schießscharten und möchten nicht gestört werden. Wir ziehen weiter, durch tiefsten Sand entlang der umzäunten Solaranlagen die nun auf der umfunktionierten Landebahn aufgereiht stehen, soweit unsere Blicke reichen. Auf den nächsten Kilometern sehen wir ab und an noch Überbleibsel von vermutlich militärischen Anlagen im Wald, so wie kurz vor der Schleuse Kannenburg. Diese hat leider Corona-bedingt geschlossen, und so ganz alleine vor verriegelter Tür ist uns der idyllische Rastplatz am Wasser auch nichts.

Wir fahren weiter hinein in das Naturschutzgebiet der kleine Schorfheide. Sandig ist es hier, im Wald sowie auf den offenen Heideflächen und ehemaligem Truppenübungsplatz Tangersdorf. Die Sonne sticht auf uns herab und unsere Reisegeschwindigkeit im Sand erzeugt nicht den geringsten Fahrtwind. Ab und an sehen wir abgesteckte Weideflächen und ich freue mich klammheimlich keiner Herde zu begegnen, deren Hirtenhund ich irgendwie entkommen müsste. Viel fällt mir für den Fall der Fälle nicht ein. Selbst wenn es Bäume gäbe, schnell genug zu ihnen fahren könnte man eh nicht durch diesen elendigen… Naja, konzentrieren wir uns stattdessen auf die Intensität dieses wunderbaren Sommertages und darauf am etwas Sand-erprobteren Vordermann zu bleiben. Wir brauchen eine geschlagene Stunde, bis wir die letzte mit ihren toten Bäumen etwas gespenstisch anmutende Sandebene hinter uns lassen. Was für eine Tortur! Dann ist unter unseren Rädern immer noch Sand, aber über unseren brummenden Köpfen der Schatten herrlicher lebender Bäume. Hier hat der Boden noch Zusammenhalt und wir kommen wieder besser voran. Der letzte waldige Abschnitt vor Himmelpfort fährt sich gut und wir halten kurz am Sidowsee um uns etwas abzukühlen und einen kleinen Snack einzuwerfen. Hier herrscht Urlaubsstimmung, so auch bei uns.

Als wir plötzlich über stillgelegte Schienen rollen, werden wir eiskalt daran erinnert, dass Gräueltaten auch bei Sonnenschein begangen werden. Deren Verlauf lenkt unser Auge zum erschütternden Anblick der Mahn-und Gedenkstätte des KZ Ravensbrück, in dem insgesamt mehr als 100.000 Frauen und Kinder interniert wurden. Schweigend rollen wir vorbei an den Baracken und ihrer Geschichte der Deportierung, Zwangsarbeit, medizinischen Experimente und systematischen Folter und Tötung.

Trotz der flauen Magen, halten wir zum Supermarkt-Stopp in Fürstenberg. Kurz runterkommen, abkühlen und uns für die Weiterfahrt stärken. Halb fünf ist es dann und wir planen durchzufahren, bis wir die nächste Kleinstadt hinter der Müritz erreicht haben, in der wir uns mit Abendbrot versorgen können. Das sollten wir auch noch vor 22 Uhr schaffen, aber unser Pausen-Pensum für heute ist verbraucht. Als wir in einem kleinen Dorf den Eingangsbogen zum Nationalpark Müritz passieren, bereuen wir etwas durch dieses beliebte Urlaubsziel im Schnelldurchlauf flitzen zu „müssen“. Die Reue wird umso größer, als wir später an etlichen wunderschönen Gewässern vorbeisurren, die wir zum Teil nur durch die Bäume aufblitzen sehen. Hier müssen wir wirklich noch einmal mit etwas mehr Zeit im Gepäck herkommen!

Die Strecke ist auch überwiegend gut zu fahren, soweit sie uns über Waldpisten führt. Auf offener Wiese oder den Feldern versinken wir immer wieder in tiefem Zuckersand, kleinere Pfade können etwas holperig werden vor Steinen und Wurzeln. Hinter Kratzeburg kippt das Verhältnis und wir umfahren kleine Weiler überwiegend auf festen Feldwegen über Ackerland. So unter freiem Himmel profitieren wir noch etwas länger vom Abendlicht, bevor es langsam zu Neige geht. Bei einbrechender Dunkelheit holpert es sich vor Stavenhagen mühsam durch den Wald. Aber kurz darauf rollen wir auch schon auf einem Asphaltsträßchen bergab dem Ortsschild entgegen. Wir passieren viele kleine Schrebergärten mit Viehzeug und den verwunschenen Ortskern bevor wir auf dem leeren Supermarkt-Parkplatz unsere Räder abstellen. Mit leckerem Picknick in Aussicht auf der Suche nach einem schönen Platz für die Nacht zu gehen, ist meist eine lohnende Angelegenheit.

Heute Abend braucht es viele Anläufe, bis wir glücklich werden. Wir finden eine ganze Zeit keine brauchbaren Bäume und entscheiden uns zu den zuletzt gesichteten zurückzukehren. Kaum hängen unsere Matten in der Allee an den Schrebergärten, werden wir binnen Sekunden von einer wimmelnden Menge hungriger Kätzchen belagert. Richtig angenehm ist die geballte Niedlichkeit nicht, aber das Lager brechen wir erst auf, als die Besitzerin uns im Vorbeigehen verrät, dass kläffende Hunde in der heruntergekommenen Laube eingesperrt sind, vor deren Zaun wir hängen sind. Die sind nicht nur laut, sondern auch bissig und brechen gelegentlich nachts aus. Es gibt kein Grund dies zu bezweifeln und wir versuchen unser Glück vor dem Gänsegehege. Hier sind die Baumstämme zu groß oder zu weit auseinander. Wir schreiben die Allee ab, etwas trostlos fanden wir sie eh. Mittlerweile ist es aber komplett dunkel, und keiner der Wege die wir erkunden hat irgendein Baum vorzuweisen. Übers Feld sehen wir dann letztlich im Scheinwerfer-Licht der vorüberfahrenden Autos die Objekte der Begierde. Die Bäume stehen etwas unterhalb und durch einen Radweg getrennt von der Landstraße. So finden wir unser Glück. Hinter uns die hohen Gräser der Böschung und vor uns der weite Sternenhimmel über dem Feld, ganz für uns alleine.

Tag 14: 175 km / 550 HM

Am nächsten Morgen sind die Bedürfnisse nicht so einfach zu vereinbaren wie sonst. Während an einem Ende erst langsam erwacht und gepackt wird, wird am anderen schon Bäckerei und Frühstücksplatz ausfindig gemacht. Gegen Frühstücksende sind wir wieder im Einklang und lassen uns noch etwas gemeinsam von der Morgensonne anbrutzeln. Die Strecke geht so weiter, wie sie gestern zu Ende ging – über offenes Feld. Es gibt hier nur wenige nicht bewirtschaftete oder waldige Flächen und deren Durchquerung dauert meist nicht lange. Am Rand der Wege sehen wir öfter Bienen-Weiden. Die sehen nicht nur schön aus, sondern erfüllen auch einen Diversitätszweck, denn die eine einseitige und flächendeckende Landwirtschaft nicht mehr leisten kann. Wir fahren über Wiesen an Hecken entlang durch die welligen Landstriche Mecklenburg-Vorpommerns. Hinter einer Kuppe offenbart sich plötzlich der Kummerower See. Der gerade darauf zuführende Feldweg wird zum sich am Ufer entlang schlängelndem Single-Trail. Steil bergauf oder bergab, wurzelig, sandig, er weckt den Spieltrieb, dem man ohne Gepäck etwas bereitwilliger nachgeben würde. Allerdings sind hier auch einige andere Urlauber unterwegs, insbesondere am Gravelotte-Strand beobachten wir größere Mengen davon. Von Verchen bis Aalbude leitet eine kleine asphaltierte Straße den Besucherfluss direkt zur Fähre, mit der man auf die andere Seite der Peene übersetzen muss. Dort hat sich das Ausflugsrestaurant mit einer kleinen Bude an die Corona-Einschränkungen angepasst. Wir bekommen unsere Flaschen gefüllt und noch einen netten Spruch mit auf die Reise. Die Eiswürfel konnten wir leider nicht ausschlagen, und prompt sind sie bei der Hitze wie erwartet schon wenige Zeit später zu leicht abgestanden schmeckendem Wasser geschmolzen.

Die Durchquerung des großen Rosin Moores und die darauffolgenden Kilometer bis Dargun absolvieren wir auf schmalen Asphaltsträßchen. Danach geht es auf etwas befahreneren Straßen weiter. Hinter Stubbendorf haben wir dann wieder feinen Kies unter den Rädern, und wenig später zum ersten Mal Betonplatten. Die wird es bis zum Kap Arkona in allen möglichen Ausführungen geben, mal mehr, mal weniger gut befahrbar. Hinter Keffenbrink fahren wir lange über eher moderne Beton-Pflastersteine mit wenig Fuge, die unvergleichbar angenehmer zu fahren sind als das, was man zum Beispiel aus dem Spreewald kennt. Dann kommt wieder Asphalt. Der ständige Wechsel von guten Straßenbelägen und festen Kiespisten in Kombination mit wenig Verkehr bedeutet, dass wir auf dem Festland entspannt und gut vorankommen. Das ändert sich kurz als wir die A20 überqueren und bei Zarrentin, gefangen im Lastwagen Kreuzfeuer, kaum wieder von der Landstraße abbiegen können. Schwups, kaum geschafft fahren wir wieder auf offenem Feld. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit überqueren wir die Trebel, die sich in 10000 Windungen durch das platte Land frisst. Mit unserer Strecke verhält es sich natürlich genau umgekehrt. Keine Serpentinen weit und breit, es geht schnurstracks geradeaus. Zehn Kilomter lang segeln wir auf einer zum Radweg umfunktionierten Bahntrasse, die uns parallel zur B194 nach Stralsund führt. Hier legen wir einen Supermarkt-Stopp ein, inklusive neuem Lieblingseis, bevor wir über den Rügendamm das Festland verlassen. Brücken vereinfachen die Planung ungemein. Leider gibt es keine über den Breetzer Bodden, die Wittower Fähre müssen wir auf jeden Fall noch vor ihrer letzten Abfahrt erwischen. Die Oberflächenbeschaffenheit des Festlandes setzt sich hier fort, nur sehen wir mehr Wasser. Jede dritte Ferienwohnung nennt sich Boddenblick. Bis zur Fährüberquerung fahren wir eigentlich fast ausschließlich Straße, was uns das Gefühl gibt, dass auch der Routenplaner sich auf dem Endspurt befunden haben muss. Die Fähre schaffen wir so jedenfalls locker, obwohl wir sie ganz knapp bei der Abfahrt verpassen und so noch eine Runde warten müssen. Dafür unterhalten wir uns mit einem netten tschechischen Paar, das sich mit Windsurfen oder bei Windstille wie heute, Fahrradfahren die Zeit vertreibt.

Auf der anderen Seite erwartet uns ein gepflasterter Radweg, der uns entlang dem Wieker Bodden nach Wiek führt. Befreit von Zeitdruck kehren wir dort auf ein Fischbrötchen mit Pommes und Bier ein. Heute Abend gibt es mal kein Picknick. Außerdem werden noch ein paar Bier in die Trikottaschen gepackt, um auf die bevorstehende Ankunft anzustoßen. Kurz darauf biegen wir Richtung Osten ab, weiter nördlich geht es nicht. Vom offenen Meer trennt uns nur noch der bewaldete Streifen von Nonnevitz in dem sich den Ferien gewidmete Siedlungen, Dörfer und Parks abwechseln. Ein Campingplatz gibt es dort auch und wir fahren durch eine Pizza-Duftwolke die es in sich hat. Die Schlange ist lang, aber unsere Bäuche glücklicherweise schon voll. So halten wir gar nicht erst, aber der Ort kommt auf die Merkliste. Einen Schlenker fahren wir noch durch den tiefen Sand am Waldesrand bevor der Weg uns Richtung Klippe führt. Je schmaler der Waldstreifen wird, umso freier wird der Blick auf das Meer und die tiefstehende Sonne, und je definierter werden die Umrisse der wunderschönen alten Buchen vom Märchenwald. Dann weichen die Bäume Büschen und Gestrüpp, dazwischen immer wieder freie Sicht aufs Meer. Die letzten zehn Kilometer führt uns ein Weg aus festem Sand dem Küstenzug entlang. Wir halten, um schnell noch ein paar Schritte auf die Aussichtsplattform zu machen und kurz darauf haben wir den Leuchtturm von Kap Arkona erreicht, das offizielle Ende der BTG-Strecke. Für uns geht es noch ein wenig weiter: mit einem Hängematten-Spot direkt am Strand, einem Sprung in die Ostsee und einem Bier beim Meeresrauschen feiern wir die Ankunft.

Nach einer eher unruhigen Nacht erwartet uns am nächsten Morgen ein Bilderbuch-Sonnenaufgang über der Ostsee. Noch einmal Baden gehen, bevor der Strand von den Touristen vereinnahmt wird, mehr ist für heute auch nicht geplant. Wir rollen mit den Rädern zurück nach Stralsund und von dort mit dem Zug zurück nach Berlin. Schade eigentlich.

TagKilometerHöhenmeter
11 (komplett)206750
12106700
13136650
14175550
https://cxberlin.net/reisebericht/transgermany/: Bikepacking Trans Germany Teil 4 – Ab zum Kap

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