Erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt. Nachdem Elena und Hannes ursprünglich ganz andere Pläne hatten, gingen beide im Corona-Jahr 2020 eine Erkundung ihres erweiterten Nahfeld an: statt der geplanten Reise in den fernen Süden haben die beiden Berliner dieses Jahr als gemischtes Team die Bikepacking Trans Germany absolviert. Diese führte sie von Süd nach Nord quer durchs Land. Während nun gerade ganz Deutschland im weichen Lockdown stillsteht, haben sie Zeit gefunden das Erlebte aufzuschreiben und uns an ihrem Abenteuer teilhaben zu lassen. Viel Spaß bei der Lektüre des ersten Teils ihres Reiseberichts!

Einleitung

Eigentlich war dieses Jahr ein Start bei der Torino Nice Rally geplant. Aber neben Corona haben auch schwere Erdrutsche die Region der Seealpen getroffen und einige Abschnitte der Route unbefahrbar gemacht. Daher mussten wir, wie schon so oft in diesem Jahr, umplanen. Auf der Suche nach einer schönen und anspruchsvollen Strecke innerhalb der Landesgrenzen erinnerte ich mich an die Bikepacking Trans Germany. Normalerweise ist die BTG ein Massenstart-Event mit 1652 km über 20000 Höhenmeter. In „Nicht-Corona-Jahren“ hat die Strecke kurze Ausflüge in die Schweiz, nach Tschechien und nach Polen. Für 2020 wurde die Strecke so angepasst, dass sie komplett in Deutschland verläuft – also genau das richtige für uns. Nach kurzem E-Mail Kontakt mit dem Organisator hatten wir die aktuelle Strecke im GPX-Format und ein paar Tipps für schwierige Abschnitte.

Neues Ziel – Kap Arkona!

Alle Infos zum Event und der Strecke gibt es hier: https://www.baselona.de/de/

Part I
Rheinfelden – Burg Hohenzollern (203km / 2844 HM)

Die Route des ersten Abschnitts
Höhenprofil des ersten Abschnitts

Die stickige Hitze und der Lärm des Baseler Bahnhofs können unserer Freude nichts anhaben: Hauptsache angekommen! Ein unkooperativer und wütender Schaffner hatte uns mitsamt unseren scheinbar unzureichend gut verpackten Räder einfach in Mannheim ausgesetzt. Nur dank der Hilfsbereitschaft eines besser gelaunten Schaffners durften wir mit unseren nun ja ungültigen Tickets nach Basel weiterfahren. Glück im Unglück. Jetzt können wir die Müllbeutel und das Tape zerreißen und die Räder wieder zusammenbauen. Endlich!

Etwas unsicher, ob wir auf deutschen oder Schweizer Boden starten, schwingen wir uns auf die Räder. Nach ein paar fast verkehrsfreien und erstaunlich menschenleeren Straßen geht es ganz plötzlich steil bergan. In null komma nichts haben wir Basel verlassen und befinden uns im Wald. Spätestens seit Mannheim wissen wir, dass dicke Gewitterwolken uns im Nacken sitzen. Eine drückende Hitze zeugt davon und macht uns ordentlich zu schaffen. Im Schneckentempo mühen wir uns eine von Sprungschanzen und anderen Hindernissen gespickten Downhillstrecke hinauf. Hier sind anscheinend auch „richtige“ Mountainbiker unterwegs. Wir freuen uns über die breiten Waldpisten, auf die wir oben stoßen. Endlich erfrischender Fahrtwind! Am schönen St. Chrischona Fernsehturm legen wir einen kurzen Stop ein. Von dort oben muss der Ausblick fantastisch sein, aber wir passen. Im Nachhinein wird klar, dass wir ironischerweise, gerade weil unser Tempo eher moderat ist und wir nicht hetzen wollen, stets in Bewegung bleiben müssen. Wer überall hält kommt ja bekanntlich nie an und Ankommen ist unsere einzige Ambition für die Tour. Außerdem hat die BTG zu dem Zeitpunkt korrekt betrachtet ja noch gar nicht begonnen. Erst einen unwegsamen Wanderweg später erreichen wir bei Kilometer 18 den offiziellen Start der Bikepacking Trans Germany in Rheinfelden.

Nun geht es ca. 50 km ziemlich zivilisiert am Rhein entlang. Meist führt uns die Strecke über geteerte oder geschotterte Radwege direkt am Fluss entlang. In Bad Sackingen decken wir uns mit Essen und Trinken für den Abend ein. Jeder freie Kubikzentimeter in den Fahrrad- und Trikottaschen wird genutzt. Mit den ersten Windböen und dem Anblick dunkler Gewitterwolken am Horizont entscheiden wir uns, doch noch schnell im Rhein zu baden. Wir rutschen auf algenbedeckten Wackersteinen ins kühle Nass. Eine gute Entscheidung, denn Badewetter werden wir vorerst nicht mehr haben. Dann verlassen wir den Rhein und finden bei einbrechender Dunkelheit ein Dach für unsere Hängematten. Das nächtliche Gewitter hat es in sich. Donner, Blitze und Windböen sind so heftig, dass wir mehrfach aufschrecken und sogar unsere Matten umhängen müssen. Durch den fast waagerechten Regen werden wir sogar unter dem großzügigen Dach etwas nass.

Der nächste Morgen ist grau, nass und kalt. Der Radweg entlang der Wutach führt uns durch etliche Dörfer in denen sich Bäckereien ausschließlich in am Sonntag geschlossenen Supermärkten befinden. In Stühlingen kapitulieren wir und entscheiden uns für das Einstein-Lokal. Der Raucherkneipen-Charme täuscht, es gibt dort guten Kaffee und köstliche, frisch zubereitete Kartoffelrösti. An der Tanke holen wir uns noch Zuckerwasser und Snacks – die Höhenmeter können kommen! Ein paar Kilometer weiter geht es auch schon los. Zunächst auf groben Asphalt, dann auf gröbstem Stein-, Matsch-, Moos- und Gras-Gemisch, fast senkrecht den Hang hinauf. Der Regen hat den Boden aufgeweicht, es rutscht, glitscht und flutscht, die Reifen finden keinen Halt, die wasserdichten Überschuhe wollen nicht über den Schuhkappen bleiben. An Fahren ist hier kaum zu denken, also schieben wir im Regen. Erst nieselt es, dann donnert es über uns. Zeitgleich mit Gewitter und Platzregen erreichen wir den höchsten Punkt. Hinter einer Bienenzucht schützt uns ein 50cm überstehendes Dach einer Gartenhütte vor dem gröbsten Unwetter. Leider trennt uns ein abgesperrtes Tor von der großzügigen doch angeblich videoüberwachten Hütte auf dem Gelände. Wir bleiben mit eingezogenem Bauch an die Rückseite unter dem Vordach stehen. Ruhig bleiben und Cola trinken. Kurz geht es, aber dann wird uns einfach zu kalt. Durchgeschwitzte und eisigkalte Kleider werden gegen die trockene Abendgarderobe (Thermounterwäsche) getauscht, Regensachen drübergezogen und sobald der Regen etwas nachlässt, fahren wir weiter. Es geht in rund 800m Höhe auf breiten Schotterpisten durch hügelige Wald- und Ackerlandschaften. Das Fahren macht viel Spaß, aber wir blicken mit Sorge auf die dunklen Wolkenformationen die sich schwer nachvollziehbar am Himmel bewegen. Hat uns diese Wolke schon erwischt oder kommt das erst noch?

Wir schaffen keine 30 km, dann müssen wir uns wieder unterstellen. Wir finden eine offene Scheune und fragen die Besitzer der Höflichkeit halber, ob wir den Schauer hier abwarten können. Stattdessen laden sie uns, so durchnässt und schlammig wie wir sind, zu Kaffee und Kuchen mit ihren Freunden ein. Etikette hin oder her, wir sind nass und durchgefroren und wollen das Angebot nicht ablehnen. Die freundlichen Gastgeber verreisen selbst nicht auf Rädern sondern auf Pferden. Aber wir stellen schnell fest, dass sich bei der Wahl des Equipments und der Verpflegung unterwegs die gleichen Probleme ergeben wie beim Bikepacking. So diskutieren wir über Hängematten, Solarzellen für Powerbanks und die Essenverpflegung für unterwegs. Sie sind beeindruckt von unserem minimalistischem Gepäck. So genießen wir die Großzügigkeit und Gastfreundschaft in vollen Zügen. Überstrapazieren wollen wir letztere aber nicht und schlagen das Angebot über Nacht zu bleiben aus. Immerhin hat es sich draußen etwas aufgehellt und es sind noch zwei Stunden Tageslicht übrig. Vielleicht schaffen wir ja noch ein paar Kilometer?

Für die Pizzeria in Tuttlingen ist keine Zeit, stattdessen muss ein Tanke-Einkauf reichen um zügig weiterzufahren. Wenig später blicken wir auf das wolkenverhangene Ursental. Die seichte Auffahrt ist ein Traum, anstrengend ist nur der Slalom durch den Nacktschnecken-Kreuzverkehr. Vor Risiberg kommt dann doch noch eine kleine Rampe. Kurz darauf finden wir zwischen einem ehemaligen Militärgelände und einem Steinbruch eine erste Hütte. Uns überzeugt das Ambiente aber nicht, besonders bei einbrechender Dunkelheit. Wir fahren weiter. Die breiten Pisten der Anhöhe gehen in Trails direkt am Kamm über. Wie nah am Abgrund wir tatsächlich sind, verrät uns der Blick aufs Tal wenn sich mal eine Lücke zwischen den Bäumen auftut. Mit der richtigen Dunkelheit erreichen wir die Kreuzsteighütte und schlagen unser Nachtcamp im Stirnlampenlicht auf. Tankstellen-Dinner gibt es mit Blick über das Lichtermeer Balingens. Von den angepeilten und wie wir dachten entspannten 130km am Tag sind wir bisher noch weit entfernt!

Die nur begrenzt erholsame Nacht auf dem Hüttentisch und die Wetterprognose lassen uns zaghaft in den Tag starten. Draußen ist das Outdoorleben (MTBer, Wanderer, Jogger) schon längst im Gange als wir uns auf den Weg machen. In Gosheim gibt es zu unserer Überraschung eine Bäckerei – Frühstück! Auch Gästezimmer werden hier angeboten und schräg gegenüber frisiert man unter gleichem Namen. Wir verlassen die Straße auf einem schönen Waldweg der entlang Lem-, Hoch- und Oberhohenberg führt. Die über 1000m hohen Berge sind 3 von 10 Bergen die der Region der 10-Tausender ihren Namen verliehen haben. Hier holen wir den Bikepacker der gerade an der Bäckerei vorbeigedüst kam ein. Ob er wohl auch die BTG Strecke fährt?! Vermutlich schon. Das Jojo-Überhol-Spiel wiederholen wir heute jedenfalls noch einige Male, die Frage beantwortet er uns aber erst beim nächsten Wiedersehen am Tag 11 beim Flaschenfüllen in Brandenburg.

Es geht weiter über breite Schotterpisten bergauf, bergab durch den schönen Wald der schwäbischen Alb. An Übernachtungsmöglichkeiten mangelt es hier definitiv nicht. Auf der Abfahrt nach Dellingen stand eine wunderbare Hütte, hinter Ratshausen noch eine… Anders sieht es an der Versorgungsfront aus. Wer braucht schon zwischen 12 und 15 Uhr Essen? In Laufen an der Eyach offensichtlich niemand, verraten uns die geschlossenen Läden. Auf Nachfrage wird uns dann doch ein Italiener empfohlen. Zu Recht. Pizzabrot und Fladen lassen uns bereuen nicht doch ein volles Menü bestellt zu haben. Aber die Wettersorge überwiegt den Wunsch der Einkehr. Weder Vorhersage noch Himmel lassen Raum für Zuversicht. Gerade einmal acht wunderschöne und zum Teil sehr steile Kilometer um den Böllat sollen es werden bevor uns der Wolkenbruch mit voller Wucht erwischt, einige hundert Meter vor einem Grill- und Spielplatz, wo wir uns unter einem Dach verkriechen. Der Tag ist gelaufen. Auf Essen können wir bis morgen aber nicht verzichten und Hannes nutzt eine Regenpause um Abendessen und Frühstück zu besorgen. Eigentlich ist es ja ganz gemütlich, aber die Stimmung ist bedrückt. Wir versuchen den Tag als Ruhetage abzuhaken und zu vergessen, dass er als solcher streng genommen völlig unverdient ist. Langsam frisst das langsame Vorankommen bei dem miesen Wetter unsere geplanten Puffertage auf. Dass das Wetter ab hier kontinuierlich besser wird, wissen wir leider nicht. Deshalb gehen wir mit getrübter Laune schlafen.

Unser Lagerplatz scheint bei Hundebesitzern und Eltern gleichermaßen beliebt. Eine Mutter beklagt die Abwesenheit von Mülleimern, vielleicht um uns zu warnen? Unser Müllbeutel vom Abendmahl reist jedenfalls noch bis zum nächsten Hof mit, wo die Bäuerin ihn uns freundlicherweise abnimmt. Wir ärgern uns immer über die Menge an Verpackungsmüll, die unser Supermarkt-Abendbrot abwirft. Das muss doch noch besser gehen!
Die nächste kleine asphaltierte Straße führt uns durch das Wünschtal in fast gerader Linie auf 900m hinauf. Wenig später biegen wir zum Traufgang ab, dem wir eine ganze Zeit folgen. Der Weg ist MTB-Trail durch und durch, auf steilen Stich folgt steile Abfahrt. Mal ist es wurzelig, mal steinig, mal beides. Aber immer ist es rutschig – dafür auch wunderschön. Wir müssen gelegentlich schieben – zum Teil der Einfachheit halber, denn die geforderte Konzentration bei dem anspruchsvollen Untergrund strengt auch an. Außerdem müssen wir mehrfach innehalten, um durch die vorbeiziehenden Nebelschwaden den Ausblick zu genießen.

So erreichen wir am Vormittag des vierten Tages das Zeller Horn, unser eigentlich für den zweiten Tag angepeiltes Ziel. Wir teilen die Aussicht auf die Burg Hohenzollern mit zwei Ornithologen und unterschreiten die 1,5 m Mindestabstand kurzzeitig für einen schnellen Blick auf ihre Rotmilan-Aufnahmen. Zum Glück ist es zu früh für eine Unterkunft: die Hütte hier ist schon belegt. Ein auf dem Tisch ausgebreitetes reichhaltiges Picknick und ein Pelzmantel auf der Bank markieren das Revier. Ein Zettel kündigt die baldige Rückkehr des Inhabers an.

Fazit

Der erste Teil der Strecke war gespickt mit technischen Passagen und endlosen schönen Ausblicken. Eigentlich wollten wir knapp zwei Tage eher an der Burg Hohenzollern ankommen, aber das (Un-)Wetter hat uns immer wieder aufgehalten. Zu oft mussten wir uns unterstellen und abwarten. Wenn wir fahren konnten, war das Vorankommen auf den aufgeweichten und rutschigen Trails erschwert. Trotzdem hat uns die Landschaft und die Strecke schwer beeindruckt und es liegt noch genug Strecke vor uns, um die gesparten Kräfte zu verpulven.

Die Kennzahlen unserer Etappen bis hier her:


Tag 1: 80 km / 600 HM
Tag 2: 93 km / 1500 HM
Tag 3: 40km / 900 HM

Hier geht es weiter zu den anderen Teile des Berichts:

https://cxberlin.net/reisebericht/transgermany/: Bikepacking Trans Germany Teil 1 – Kap Arkona statt Côte d’Azur

8 Responses

  1. Hallo ihr zwei. Danke für den tollen Bericht. Freu mich auf die Fortsetzung. Was würdet Ihr, speziell im Zusammenhang mit Corona, für die BTG empfehlen bzw. was hat Euch da zu schaffen gemacht?

    • Hallo, da wir uns bei der Reise quasi 24/7 an der frischen Luft aufgehalten haben, fanden wir sie gerade passend um weder uns noch andere einem unnötigen Risiko auszusetzen und trotzdem Urlaub machen zu können. Übernachtet haben wir grundsätzlich nur draußen und die einzigen geschlossenen Räume, die wir regelmäßig besuchen mussten, waren Supermärkte und Bäcker.
      Ansonsten haben wir uns im Vorfeld über Reisebeschränkungen informiert, die es zum Glück nicht gab für diese Tour. Auf dem Smartphone haben wir unterwegs ab und zu nachgeschaut, dass es keine neuen Bestimmungen gibt oder wir in in irgendwelche Hotspots hineinfahren. Das war zum Reisezeitpunkt unproblematisch.
      Die Zugfahrt war der einzige längere Aufenthalt in einem geschlossenen Raum mit anderen Menschen, den wir natürlich nicht vermeiden konnten.

  2. Hallo Ihr Zwei, ich wohne selbst in der Nähe von Rheinfelden und kenne einige der Strecken, die Ihr gefahren seid. Nicht grämen wegen der Kilometerleistung, der Spaß und der Genuß an der Umgebung zählen. Ich habe den Bericht auf jeden Fall genossen und freue mich auf die Fortsetzung. Vielleicht sieht man sich ja mal in Eurem Revier, das ich nächstes Jahr gerne angehen möchte. Kommt gut in das neue Jahr und immer Kette rechts. 🙂

  3. Wow, super Bericht.
    Das kann Euch keiner mehr nehmen.
    Ich selbst bin 2020 from F to F (Füssen to Flensburg), allerdings mit viel weniger packing und geschlafen habe ich in Pensionen ( ich schäme mich…).
    Freue mich schon auf euren nächsten Teil

    • Hallo Alex,
      es ist ja kein Grund sich zu schämen, „feste“ Unterkünfte zu buchen. Es hat auch viele Vorteile ohne Campinggepäck unterwegs zu sein. Man kommt schneller voran und das Fahrrad fühlt sich lebendiger an. Deshalb versuchen wir uns beim Campinggepäck auch auf das Allernötigste zu beschränken. Mit Hängematten beladen fährt sich das Fahrrad nicht ganz so träge wie mit einem kompletten Zelt.
      Der zweite Teil ist hier auf dem Blog schon online, falls du ihn noch nicht entdeckt hast. Der dritte Teil wird in den nächsten Tagen fertig gestellt.
      Viele Grüße!

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